Mittwoch, 10. Juli 2013

Die Philosophie des Transitraumes

Seit dem 23.6.2013 befindet sich der Whisleblower Snwoden in der Transitzone des Moskauer Flughafens Sheremetjewo. Die Transitzone ist dafür eingerichtet Passagiere zu beherbergen, die über Moskau einen Weiterflug in ein drittes Land gebucht haben. Sie wird von den Flughafenbehörden streng abgeschirmt. Waffen sind nicht erlaubt, und Überwachungskameras überall. Hinein darf nur, wer ein gültiges Flugticket besitzt oder mit einem Flugzeug angekommen ist. Heraus kommt man nur mit einem gültigen Visum für die russische Föderation oder indem man ein Flugzeug besteigt, dessen Bestimmungsort die Einreise erlaubt. Es mag paradox erscheinen, aber macht doch Sinn. Die russische Regierung betrachtet diese Zone als exterritoriales Gebiet. Abgesehen von den obligatorischen, Personal und Sicherheitskontrollen, braucht damit die russische Regierung niemandem Rechenschaft darüber ablegen, wer die Zone passiert und welche Animositäten in welchen Ländern gegen welche Person bestehen. Wie bei Snowden zum Beispiel.

Diese Transitzone ist mit allem Nötigen versorgt. Es gibt Toiletten und warmes Essen sogar Hotels in verschiedenen Preisstufen, weltweit alle wichtigen Tageszeitungen (meist kostenlos), Bücher und sogar Internetanbindung. Was Snowden dort vielleicht vermissen mag ist der Duft des Waldes, das Rauschen des Meeres oder die bunten Lichter Hong Kongs.

Was er sicher nicht vermisst ist die Möglichkeit richtig große Politik zu machen, denn seit seiner Ankunft schaut die ganze Welt dorthin und auf das was dorther kommt. Die Regierungen und ihre Entscheidungen wurden in Nebenrollen abgedrängt. Die eigentliche Inszenierung läuft in der Transitzone. Die dort lancierten Enthüllungen zwingen andere zu reagieren. Mal mehr mal weniger plump aber immer mit der Angst im Nacken, was wohl als nächstes kommen mag.

Es ist faszinierend zu beobachten wie sich die Wandlung vollzog. Die Behörden, die einst auszogen um mit der Sammlung riesiger persönlicher Datenmengen die Welt zu kontrollieren, werden nun auf wundersame Weise genau durch die Enthüllung dieser Daten selbst kontrolliert.

Journalisten und sicher auch Geheimdienstler aller Couleur und vielleicht auch einige Politiker buchen internationale Flüge mit dem Umweg über Moskau um einen Blick in die Transiträume werfen zu können (so wie dieser Journalist) und ein wenig vom Flair mitzubekommen.

Bei all dem Trubel mag vielleicht noch niemand ahnen, dass das was sich hier in der Moskauer Transitzone abspielt die Grundlage für eine neue Weltordnung darstellt, und dass es gesetzmäßig erfolgt, nach den Regeln der Evolution. Es eröffnet sich eine völlig neuen Dimension der sozialen Evolution. Solche Sprünge gab es in der Evolutionsgeschichte dieses Planeten bereits mehrfach. Die bekanntesten sind die Entwicklung des Zellkerns und des Gehirns.

Die Evolution des Zellkerns markiert den Übergang von Prokaryoten (ohne richtigem Zellkern) zu den Eukarioten (mit einem voll ausgebildeten). Zu den Prokaryoten gehören beispielsweise die Bakterien. Eukaryoten sind alle höheren Lebewesen. Die Entstehung vielzelliger Organismen war erst mit der Entstehung des Zellkernes möglich. Der Zellkern ist eine extra Membran innerhalb der Zelle, die die wichtige Erbinformation vor den „Zugriffen“ der Stoffwechselprodukte abschirmt. Im Stoffwechsel entstehen ständig aggressive Zwischenprodukte, sogenannte Metaboliten auch als Radikale bezeichnet. Diese können die Erbinformation direkt verändern, oder beeinflussen wie diese Information verarbeitet wird.

In modernen Zellkernen laufen komplexe miteinander verflochtene Regulationprozesse ab. Die Erbinformation, in einem langen DNA-Molekül gespeichert, ist in ein hoch kompliziertes Chromatinnetzwerk ausgewickelt. Dabei spielt eine wichtige Rolle, welche DNA-Stücken zueinander in Beziehung treten und welche anderen Moleküle sich in der unmittelbaren Nähe aufhalten. Diese Chromatinnetzwerk ist ein hochkompliziertes und sensibles Gebilde der Informationsverarbeitung, welches nicht den groben Einflüssen des Stoffwechsels ausgesetzt sein darf. Solch hochspezialisierte Zellen wie Muskelzellen oder Immunzellen wären ohne Zellkern undenkbar, weil mit der körperlichen Anstrengung oder dem Zerstören eines Infektionserregers in der Zelle durch die Abfallprodukte ein irreparabler Schaden am Chromatinnetzwerk entstehen würde.

Ähnlich sieht es beim Gehirn aus. Das Gehirn ist durch eine sogenannte Blut-Hirn-Schranke vom Stoffwechsel und der Hormonregulation des übrigen Körpers abgeschirmt. Viele Metaboliten wie Histamin und Glutamat wirken im Zentralen Nervensystem direkt als Neurotransmitter. Würden diese ungebremst aus der Blutbahn an die Nervenzellen gelangen, so würde das schon nach jeder Mahlzeit unsere Hirnfunktion erheblich verändern, und völlig unkalkulierbare Reaktionen auslösen. Höhere Nerventätigkeiten wie die beim Lesen dieses Artikels wären undenkbar.

Die Entstehung abgeschirmter Informationsverarbeitungsnetzwerke markiert in der Fauceir Evolution Theorie das Auslaufen von starren hierarchischen Kontrollsystemen und den Übergang in netzartige flexiblen Kontrollstruktur.

Die selbe Gesetzmäßigkeit, die in der biologischen Evolution zur Entwicklung von Zellkernen bei Einzellern und zu Gehirnen bei Mehrzellern geführt hat, ist nun dafür verantwortlich, dass sich ähnliche Steuernetzwerke in sozialen Strukturen entwickeln. Es mögen die Verantwortlichen der NSA das Projekt PRISM in der ehrenvollen Absicht gestartet haben, genau so ein unabhängiges abgeschirmtes intelligentes Netzwerk aufzubauen. Und sie haben es geschaffen. Es wird sich auch nicht wieder abstellen lassen. Auch wenn das manche hoffen. Nur kontrolliert werden sollte es anders. Nicht von einer hierarchischen Struktur, wie der NSA. Auch keine Regierung wäre dazu geeignet. Alle diese hierarchischen sozialen Strukturen sind unflexibel und nicht wirklich abgeschirmt genug. Sie sind mit Mitarbeitern besetzt, die alle zum Leben auf ihr Gehalt angewiesen sind und sie streben natürlich wie in jeder hierarchischen Struktur die Karriereleiter nach oben. All dies macht sie anfällig für die vielfältigsten sozialen Einflüsse. Ein Missbrauch ist damit in diesem System nahezu vorprogrammiert.

Anders anders in der Transitzone. Transitzonen haben sich aus dem Bedürfnis nach unkompliziertem internationalem Austausch entwickelt. Transitzonen sind auf den meisten Flughäfen Bereiche in denen unterschiedliche Kulturen und Menschen mit ganz gegensätzlichen Voreingenommenheiten friedlich aufeinander treffen. Dies wäre ein guter Platz ohne ideologischem Druck über die Weltpolitik zu diskutieren. Vielleicht gesellen sich zum Paar Snowden und Sarah Harrison noch andere Aktivisten.

Doch das wäre wahrscheinlich nicht das selbe. Gerade die Patt-Stellung (einerseits kann Snowden den Transitraum nicht verlassen andererseits kann er sich dort frei betätigen) macht ihn zu einem unbestechlichen Dirigenten dieser Welt.

Ob sich aber nun dieses Phänomen Transitzone so halten wird, ist eher zu bezweifeln. Sicher scheint mir jedoch eines, der Anfang in eine neue Entwicklung ist gemacht. Die Menschheit erkennt, wie frei von Erpressung wichtige weltpolitische Weichen gestellt werden können. Deshalb werden sich solche Freiräume wieder und wieder entwickeln. Dies ist genau der Beginn des hier immer wieder beschriebenen Überganges von einer hierarchischen Kontrolle der Welt in eines neuronales Netzwerk.