Seit dem 23.6.2013 befindet sich der
Whisleblower Snwoden in der Transitzone des Moskauer Flughafens
Sheremetjewo. Die Transitzone ist dafür eingerichtet Passagiere zu
beherbergen, die über Moskau einen Weiterflug in ein drittes Land
gebucht haben. Sie wird von den Flughafenbehörden streng
abgeschirmt. Waffen sind nicht erlaubt, und Überwachungskameras
überall. Hinein darf nur, wer ein gültiges Flugticket besitzt oder
mit einem Flugzeug angekommen ist. Heraus kommt man nur mit einem
gültigen Visum für die russische Föderation oder indem man ein
Flugzeug besteigt, dessen Bestimmungsort die Einreise erlaubt. Es mag
paradox erscheinen, aber macht doch Sinn. Die russische Regierung
betrachtet diese Zone als exterritoriales Gebiet. Abgesehen von den
obligatorischen, Personal und Sicherheitskontrollen, braucht damit
die russische Regierung niemandem Rechenschaft darüber ablegen, wer
die Zone passiert und welche Animositäten in welchen Ländern gegen
welche Person bestehen. Wie bei Snowden zum Beispiel.
Diese Transitzone ist mit allem Nötigen
versorgt. Es gibt Toiletten und warmes Essen sogar Hotels in
verschiedenen Preisstufen, weltweit alle wichtigen Tageszeitungen
(meist kostenlos), Bücher und sogar Internetanbindung. Was Snowden
dort vielleicht vermissen mag ist der Duft des Waldes, das Rauschen
des Meeres oder die bunten Lichter Hong Kongs.
Was er sicher nicht vermisst ist die
Möglichkeit richtig große Politik zu machen, denn seit seiner
Ankunft schaut die ganze Welt dorthin und auf das was dorther kommt.
Die Regierungen und ihre Entscheidungen wurden in Nebenrollen
abgedrängt. Die eigentliche Inszenierung läuft in der Transitzone.
Die dort lancierten Enthüllungen zwingen andere zu reagieren. Mal
mehr mal weniger plump aber immer mit der Angst im Nacken, was wohl
als nächstes kommen mag.
Es ist faszinierend zu beobachten wie
sich die Wandlung vollzog. Die Behörden, die einst auszogen um mit
der Sammlung riesiger persönlicher Datenmengen die Welt zu
kontrollieren, werden nun auf wundersame Weise genau durch die
Enthüllung dieser Daten selbst kontrolliert.
Journalisten und sicher auch
Geheimdienstler aller Couleur und vielleicht auch einige Politiker
buchen internationale Flüge mit dem Umweg über Moskau um einen
Blick in die Transiträume werfen zu können (so
wie dieser Journalist) und ein wenig vom Flair mitzubekommen.
Bei all dem Trubel mag vielleicht noch
niemand ahnen, dass das was sich hier in der Moskauer Transitzone
abspielt die Grundlage für eine neue Weltordnung darstellt, und dass
es gesetzmäßig erfolgt, nach den Regeln der Evolution. Es eröffnet
sich eine völlig neuen Dimension der sozialen Evolution. Solche
Sprünge gab es in der Evolutionsgeschichte dieses Planeten bereits
mehrfach. Die bekanntesten sind die Entwicklung des Zellkerns und des
Gehirns.
Die Evolution des Zellkerns markiert
den Übergang von Prokaryoten (ohne richtigem Zellkern) zu den
Eukarioten (mit einem voll ausgebildeten). Zu den Prokaryoten gehören
beispielsweise die Bakterien. Eukaryoten sind alle höheren
Lebewesen. Die Entstehung vielzelliger Organismen war erst mit der
Entstehung des Zellkernes möglich. Der Zellkern ist eine extra
Membran innerhalb der Zelle, die die wichtige Erbinformation vor den
„Zugriffen“ der Stoffwechselprodukte abschirmt. Im Stoffwechsel
entstehen ständig aggressive Zwischenprodukte, sogenannte
Metaboliten auch als Radikale bezeichnet. Diese können die
Erbinformation direkt verändern, oder beeinflussen wie diese
Information verarbeitet wird.
In modernen Zellkernen laufen komplexe
miteinander verflochtene Regulationprozesse ab. Die Erbinformation,
in einem langen DNA-Molekül gespeichert, ist in ein hoch
kompliziertes Chromatinnetzwerk ausgewickelt. Dabei spielt eine
wichtige Rolle, welche DNA-Stücken zueinander in Beziehung treten
und welche anderen Moleküle sich in der unmittelbaren Nähe
aufhalten. Diese Chromatinnetzwerk ist ein hochkompliziertes und
sensibles Gebilde der Informationsverarbeitung, welches nicht den
groben Einflüssen des Stoffwechsels ausgesetzt sein darf. Solch
hochspezialisierte Zellen wie Muskelzellen oder Immunzellen wären
ohne Zellkern undenkbar, weil mit der körperlichen Anstrengung oder
dem Zerstören eines Infektionserregers in der Zelle durch die
Abfallprodukte ein irreparabler Schaden am Chromatinnetzwerk
entstehen würde.
Ähnlich sieht es beim Gehirn aus. Das
Gehirn ist durch eine sogenannte Blut-Hirn-Schranke vom Stoffwechsel
und der Hormonregulation des übrigen Körpers abgeschirmt. Viele
Metaboliten wie Histamin und Glutamat wirken im Zentralen
Nervensystem direkt als Neurotransmitter. Würden diese ungebremst
aus der Blutbahn an die Nervenzellen gelangen, so würde das schon
nach jeder Mahlzeit unsere Hirnfunktion erheblich verändern, und
völlig unkalkulierbare Reaktionen auslösen. Höhere
Nerventätigkeiten wie die beim Lesen dieses Artikels wären
undenkbar.
Die Entstehung abgeschirmter
Informationsverarbeitungsnetzwerke markiert in der Fauceir Evolution
Theorie das Auslaufen von starren hierarchischen Kontrollsystemen und
den Übergang in netzartige flexiblen Kontrollstruktur.
Die selbe Gesetzmäßigkeit, die in der
biologischen Evolution zur Entwicklung von Zellkernen bei Einzellern
und zu Gehirnen bei Mehrzellern geführt hat, ist nun dafür
verantwortlich, dass sich ähnliche Steuernetzwerke in sozialen
Strukturen entwickeln. Es mögen die Verantwortlichen der NSA das
Projekt PRISM in der ehrenvollen Absicht gestartet haben, genau so
ein unabhängiges abgeschirmtes intelligentes Netzwerk aufzubauen.
Und sie haben es geschaffen. Es wird sich auch nicht wieder abstellen
lassen. Auch wenn das manche hoffen. Nur kontrolliert werden sollte
es anders. Nicht von einer hierarchischen Struktur, wie der NSA. Auch
keine Regierung wäre dazu geeignet. Alle diese hierarchischen
sozialen Strukturen sind unflexibel und nicht wirklich abgeschirmt
genug. Sie sind mit Mitarbeitern besetzt, die alle zum Leben auf ihr
Gehalt angewiesen sind und sie streben natürlich wie in jeder
hierarchischen Struktur die Karriereleiter nach oben. All dies macht
sie anfällig für die vielfältigsten sozialen Einflüsse. Ein
Missbrauch ist damit in diesem System nahezu vorprogrammiert.
Anders anders in der Transitzone.
Transitzonen haben sich aus dem Bedürfnis nach unkompliziertem
internationalem Austausch entwickelt. Transitzonen sind auf den
meisten Flughäfen Bereiche in denen unterschiedliche Kulturen und
Menschen mit ganz gegensätzlichen Voreingenommenheiten friedlich
aufeinander treffen. Dies wäre ein guter Platz ohne ideologischem
Druck über die Weltpolitik zu diskutieren. Vielleicht gesellen sich
zum Paar Snowden und Sarah Harrison noch andere Aktivisten.
Doch das wäre wahrscheinlich nicht das
selbe. Gerade die Patt-Stellung (einerseits kann Snowden den
Transitraum nicht verlassen andererseits kann er sich dort frei
betätigen) macht ihn zu einem unbestechlichen Dirigenten dieser
Welt.
Ob sich aber nun dieses Phänomen
Transitzone so halten wird, ist eher zu bezweifeln. Sicher scheint
mir jedoch eines, der Anfang in eine neue Entwicklung ist gemacht.
Die Menschheit erkennt, wie frei von Erpressung wichtige
weltpolitische Weichen gestellt werden können. Deshalb werden sich
solche Freiräume wieder und wieder entwickeln. Dies ist genau der
Beginn des hier immer wieder beschriebenen Überganges von einer
hierarchischen Kontrolle der Welt in eines neuronales Netzwerk.